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An einem Wochenende mit wunderbarem Wetter bin ich nicht, wie geplant, ins Grüne gefahren. Ich las den kursierenden Ausdruck des Walser-Manuskripts TOD EINES KRITIKERS. Hoffnung, daß mich die Lektüre für den Verzicht auf den Ausflug entschädigen könne, hatte ich nicht, aber doch wenigstens die, daß es etwas in dem Text gebe, das die bereits veröffentlichten Passagen Lügen strafen und mein Erschrecken über sie mildern möge. Das war leider nicht der Fall.

Was habe ich gelesen?

Ein ROMAN genanntes Werk mit der Widmung FüR DIE, DIE MEINE KOLLEGEN SIND. Der Roman ging mich also eh nichts an, da ich kein schreibender Mann bin, aber auch deshalb nicht, weil ich, wie die Widmung signalisiert, ein Bekenntnis zum Meister abzulegen hätte - oder wie ist diese Merkwürdigkeit einer Widmung gemeint? Obwohl Frau und kein Fan von Walser, erlitt ich die 134 Seiten mit zunehmendem Widerwillen, gemischt mit einem Mitleid, das man als Frau Männern gegenüber gelegentlich empfindet, wenn man sich noch gegen die schiere Wut wehrt.

Ich habe einen Roman gelesen, der keiner ist. Von einem Roman erwarte ich, daß die darin agierenden Menschen (mögen sie auch von meinen Haltungen weit entfernt sein - oder gerade dann!) mir verständlich gemacht werden (Raskolnikoff, Madame Bovary, Rabbit u.v.m.). Aber diese Walser-Personen?

Der Kritiker André Ehrl-König (erkennbar als Marcel Reich-Ranicki), über den sich der Schriftsteller Hans Lach nach einer erwarteten positiven und tatsächlich erfolgten negativen Besprechung so erzürnt, daß er ihn am liebsten ermorden will (und sich auch, nachdem Ehrl-König unauffindbar verschwunden ist, so verhält, als habe er ihn ermordet), dieser Ehrl-König, ist eine Schießbudenfigur ohne jede Tiefenschärfe. Es gibt - außer der Bezeichnung geschmeidig – (und auch die ist hier abwertend gemeint) nichts, was für diesen Menschen spräche. Er ist ein Intrigant mit Macht, die er häufig zum Schaden der von ihm kritisierten Autoren mißbraucht. Er ist geil, vernascht Frauen, die bei ihm als Mädchen, Mädels oder Mädelchen vorkommen oder – dies seine erotische Präferenz - als Schwangere im Anfangsstadium.

Ehrl-Königs Art zu essen nennt Walser Fressen, sein Lächeln Grinsen, seine Aussprache wird lächerlich gemacht. Der Mann ist Jude, wovon Walser keinen weiteren Gebrauch macht, als die Langlebigkeit seiner Mutter zu betonen. Der Mann liebt seine Frau, die als Zigarren rauchende gealterte Salondame, genannt MADAME, vorgestellt wird. Diese Liebe mag anrührend sein. Der Eindruck wird aber, bevor er sich festsetzen kann, dadurch widerrufen, daß gesagt wird, Madame selbst habe Gründe gehabt, ihren Mann ins Jenseits zu befördern. Kurzum - Ehrl-König eine Pappfigur für Schießübungen, die aus nichts als plakativer Oberfläche besteht und den einen einzigen Zweck hat, daß man an ihr übt, wie gut man trifft, am besten natürlich: mitten ins Herz. Das, auch wenn das kein literarisches Kriterium ist, ist Walser offenbar gelungen.

Kommen die Frauen bei Ehrl-König als Mädchen-Kategorie oder Schwangere vor, so sind sie im Kosmos der von Ehrl-König gekränkten Skribenten Verlegersgattinnen, Schriftstellergattinnen, Kritikergattinnen, Musen, platonisch Liebende, Literatur-Groupies und auf einem Kissen reitende Schwangere.

Gab es im Walserkosmos früher bereits die Meinungssoldaten, so sind es hier die Chorknaben des Kritikers. Die Schriftsteller – auch sie männlich - sind durchweg gekränkte Leberwürste. Die Existenz dieser Schreibenden scheint ausschließlich vom negativen oder positiven Echo abzuhängen, nicht etwa, wie man denken könnte, dem der LeserInnen, sondern von dem der TV-öffentlichkeit. In der geschwätzigen GALA- und BUNTE-Welt von literarischem Klatsch und Tratsch, die uns Walser als Literaturszene anbietet, zählen keine LeserInnen, mit Ausnahme des Psychopathen Manni-Manni. Die dargestellte Welt der Literatur ist exzessiv männlich, eine Welt der gekränkten Männchen, in der das Gerede über Prostata-Probleme wichtiger ist als: was einer (oder, da sei Gott vor: etwa eine) wie schreibt.

Ein trauriges Buch, in dem es dem alten Mann Walser gelungen ist, die deutsche Literatur nachhaltig zum Kriegsschausplatz zu machen. Zur Männerarena, in der Larmoyanz und Gekränktheit sich mit aggressiven Fouls zur Wahrnehmung bringen. Hier schwingt sich ein vielfach Belohnter und Gepriesener zum Anwalt der Geknechteten und Gedemütigten auf. Könnte man meinen. Aber er meint sich selbst, den gekränkten Autor Walser. Jeder Bereich öffentlichen und privaten Lebens kommt inzwischen als Arena für männliches Kriegsgeheul in Frage. Nun auch die Literatur.

Walsers Buch ist kein Roman, dazu müßte es von Personen handeln, die beim Lesen auch widerstrebenden Lesern verständlich werden könnten. Es ist keine Satire, dazu müßte es ein Minimum an Witz haben. Es ist kein Krimi, dazu fehlt die Darstellung einigermaßen plausibler kriminaltechnischer Vorgehensweisen. Das Buch ist eine 134 Seiten lange Bösartigkeit. Mit Aggression zu schreiben erhöht leider nicht die Selbstkontrolle. Der bereits erwähnte Manni-Manni, der sich am Ende umbringt, läßt einen Brief zurück, in dem sich Houellebecq´sche Anklänge in verzerrter Form finden. Als ich das las, hatte ich die Vorstellung, Walser sei, als er sein Manuskript nach Fertigstellung las, von einem unangenehmen Gefühl über seine hasserfüllte erzählerische Einbahnstraße überfallen worden und er habe geglaubt, seinem Roman noch etwas hinzufügen zu müssen, was ein wenig ablenke. Diese Manni-Manni – Geschichte wirkt wie nachträglich eingefügt, hängt dem Roman ziemlich unverbunden an.

Der nachfolgende Text stammt aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

„Warum ruft uns der Berliner Polizeipräsident Dr. Bernhard Weiß vor den Richter, bloß weil wir ihn Isidor nennen? Findet er etwa, daß dieser Name nicht auf ihn paßt: Oder paßt er nur allzu gut auf ihn? Weil Isidor eine Umschreibung für Jude sei? ... Ja, ist denn Judesein etwas Minderwertiges? ... Wer von euch, ihr Männer, wird betroffen nach dem Kadi schreien, sagte man ihm unverblümt: „Du bist ein Deutscher!“ Im Gegentum! Im Gegentum! Stolz würden wir alle aufstehen und bekennen: „Jawohl, ein Deutscher vom Scheitel bis zur Sohle!“ Warum tut Herr Bernhard Weiß angesichts seines unmißverständlichen Ponims nicht ein Gleiches? „Jawohl, ein Jude vom Scheitel bis zur Sohle!“

Steckt Antisemitismus in dem Text?

I wo! Der Autor, ein abgelehnter Schriftsteller, fragt schließlich befremdet: „Ist denn Judesein etwas Minderwertiges?“ Er fragt es 1928, noch vor dem Großen Krieg. Aber schließlich, das wissen Männer, muß man die Kampfplätze eröffnen, wo immer sie sich bieten. Vielleicht lassen sie sich ja ausbauen. Übrigens: Der Autor hieß Joseph Goebbels.


Dieser Text wurde am 26.06.2002 auf www.hagalil.com erstmalig veröffentlicht.